Am Wendepunkt, dankbar, aufgeregt aber auch ein wenig traurig

Ich habe es tatsächlich getan. So ganz kann ich es selber noch nicht glauben. Am Donnerstag habe ich zum 31.12.2021 meinem Arbeitgeber gekündigt. Die Luft war raus. Ihr habt es bestimmt in den bisherigen Beiträgen schon gemerkt. Es fing schon in der Wiedereingliederung im letzten Herbst an. Gleich nach einem kurzen Treffen mit meinem Chef ab ins Homeoffice. Das war wegen Corona unvermeidlich. Aber dann praktisch kein Kontakt zum Team und über den Monat nur ganz wenige Aufgaben. Während der Arbeitszeit ständig auf Abruf. Meine Arbeit als Produktmanager erledigten inzwischen andere. Bis heute verstehe ich das nicht. Die Idee der Wiedereingliederung ist mit Sicherheit eine andere.

Mitte Januar hat man mir dann mitgeteilt, dass mein Job als Produktmanager und Productowner eines Scrum Teams gestrichen wurde. Bitte versteht das richtig, die Arbeit wird immer noch gemacht, nur die Stelle gibt es nicht mehr. Die Mitteilung erfolgte nur durch ein kurzes Gespräch am Telefon. In diesem Zusammenhang hat man wohl festgestellt, dass der Gesetzgeber in Deutschland zum Thema Wiedereingliederung ein etwas anderes Vorgehen vorsieht. Man hat mir deutlich verspätet ein BEM Gespräch (berufliches Eingliederungsmanagement) angeboten, 4 Monate nach meiner offiziellen Wiedereingliederung. Ich arbeite in einem internationalen Konzern und nicht in einem kleinen Ingenieurbüro. Ich hätte gedacht, diese Regelungen wären dort geläufiger. Heute bin ich schlauer, damals sagte der Prozeß der Wiedereingliederung mir nur wenig.

Ich bin dann in den Softwaresupport gewechselt. Für die Lösung, die ich vorher mit meinem Team erstellt habe. Ist aber auch nicht vollständig zeitfüllend und ich fühle mich mit der Aufgabe ziemlich unterfordert.

Ich habe dann angefangen, mich zu bewerben. Aber wird mich, über 50 und mit einer Schwerbehinderung, überhaupt noch jemand nehmen?

Und sollte ich die Schwerbehinderung gleich angeben oder erst einmal verschweigen?

Ich habe mich für das Angeben entschieden. Man sieht die Behinderung bei mir sofort, die kann ich nicht verstecken.

Und, habe ich durch meine Behinderung Nachteile gehabt?

Schwer zu sagen, aber ich vermute schon. Ich wurde fast immer zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Praktischerweise fand dies ausschließlich digital statt. Ich hatte aber häufig das Gefühl, dass es eher eine Pflichtveranstaltung von der Gegenseite war. Ebenso häufig folgte schnell darauf die Absage. Höhepunkt war die Aussage einer HR Verantwortlichen, dass ich mich dort nicht wohlfühlen würde.

Vor Kurzem habe ich aber einen deutschen Konzern aus Hannover über StepStone gefunden. Die Atmosphäre in den beiden Vorstellungsgesprächen war gleich gut, die Schwerbehindertenvertretung hatten sie gleich von sich aus eingeschaltet. Das fand ich vorbildlich. Ansonsten stand eher nicht die Behinderung im Vordergrund, sondern meine fachliche Qualifikation.

Auf meine Bitte haben wir dann noch einen Vororttermin vereinbart. Da ich interne Projektleitungen übernehmen werde, war es mir wichtig, dass mein neuer Arbeitgeber einen Eindruck über meine Körperbehinderung erhält. Nun, ich bin dankbar, dass mein neuer Arbeitgeber mit allem total unkompliziert umgeht.

Für mich wird sich vieles ändern. Einerseits werde ich wieder zu 100 Prozent arbeiten (38,5 Stunden), andererseits nicht wie bisher ausschließlich im Homeoffice, sondern wieder überwiegend im Büro. Das wird eine erhebliche Umstellung für mich, aber auch ein weiterer Schritt zur möglichen Normalität, wie ich sie vor meinem Schlaganfall gewohnt war. Und das ist ja mein großes Ziel. Ich habe Respekt vor der neuen Aufgabe und dem damit verbundenem neuen lernen, freue mich aber tierisch über die neuen Impulse. Wendepunkt, ich komme.

Foto von fauxels von Pexels

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

7 Kommentare zu „Am Wendepunkt, dankbar, aufgeregt aber auch ein wenig traurig

  1. Herzlichen Glückwunsch zum Wendepunkt, lieber Olaf! Du bist so mutig und stark! Ich wünsche Dir alles Liebe für den neuen Job und schicke eine riesige Portion Glück und Kraft!

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  2. Zu diesem Schritt gehört eine Menge Mut, Respekt dafür.
    Meinen Glückwunsch, dass du es so weit geschafft hast dir diesen Schritt zuzutrauen.
    Wünsche dir jetzt schon in deinem neuen Job viel Spaß und alles Gute.

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  3. Hallo Olaf, Deine Worte haben mich echt bewegt. Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. Ganz viel Glück auf Deinem Weg. Herzliche Grüße Simone

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