Meine olympischen Ringe

Heute, genau vor einem Jahr hatte ich meinen Schlaganfall. Am zweiten Tag des ersten Lockdowns. Von der MHH ging es in die medizinische Reha nach Hessisch Oldendorf. Die ersten 8 Wochen konnte mich meine Familie nicht besuchen. Ich bin im Laufe der Reha eine andere Person geworden. Für diesen Beitrag war ich auf der Suche, welche Erinnerung dies besonders charakterisiert. Anke, meine Physiotherapeutin aus Hessisch Oldendorf, hat mir dankenswerterweise dieses Foto zur Verfügung gestellt.

Dies ist der Ringebaum. In der Klinik wird er verwendet, um die Armfunktion zu trainieren. Der Baum steht auf einem Tisch, ca. 75 cm hoch. Zum Baum gehören 25 Ringe. Die müssen auf jeden Ast gehoben werden. Natürlich einzeln und nur mit dem betroffenen Arm. Unten noch ganz einfach, wird es mit zunehmender Höhe und Dauer immer schwieriger. Die Ringe wandern sozusagen über alle Ebenen des Baumes, wechseln zur Hälfte die Seite und steigen dann wieder ab. Zum Schluss liegen alle Ringe wieder zu den Füßen des Baums. Für Schlaganfallpatienten ist es schwierig, einen Gegenstand oberhalb des rechten Winkels zu bewegen. Es tut aufgrund des Muskeltonuses höllisch weh und ist mit zunehmender Zeit einfach nur eine Tortur.

Ich habe den Ringebaum in meinem halben Jahr in der Klinik dreimal bewältigt. Am Anfang hat das Heben aller Ringe auf alle Ebenen 2,5 Stunden gedauert. Das bedeutet in meinem Fall zweieinhalb Tage, da das Taubsche Training mit Anke lediglich eine Zeitspanne von einer Stunde Pro Tag zuließ. Anke ist dabei genauso stur wie ich. Abbrechen vor dem Ende gab es nicht. Vielleicht ist hier das gleiche Sternzeichen und sogar der gleiche Geburtstag verantwortlich?

Den Wert beim zweiten Durchlauf habe ich vergessen, zum Ende meiner Reha habe ich den Baum in etwas über zwanzig Minuten bewältigt. In der Reha bin ich mit der Zeit ein anderer Mensch geworden. Kleine selbstverständliche Dinge sind mir zunehmend wichtig. Besserung ist in vielen ausweglosen Situationen möglich, der Weg dahin aber häufig alles Andere als bequem. Für mich stellt der Ringebaum eine Disziplin in meiner ganz persönlichen Olympiade dar.

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

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