Billy Bones – meine Krankheit im Spiegel der Zeit

Eigentlich sollte dieser Beitrag damit beginnen, das ich in meiner Reha nach dem Schlaganfall die Schatzinsel gehört habe. Aber das stimmt leider nicht ganz. Ich habe meine kleine Entdeckung im Text des Romans von Robert Louis Stevenson erst fünf Jahre später gemacht. Erinnert ihr euch noch an Billy Bones?

Ja, richtig. Das ist der alte Seemann, der sich im Admiral Benbow einquartiert. Dort trifft er auf Jim Hawkins, den Sohn der Besitzerin.

Die Schatzinsel, englischer Originaltitel Treasure Island, ist neben Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde der bekannteste Roman des schottischen Autors Robert Louis Stevenson. Er erzählt von der hindernisreichen Suche nach einem versteckten Piratenschatz – einem beliebten Thema solcher Abenteuerromane – und wurde vor allem als Jugendbuch, aber auch durch seine inzwischen über zwanzig Verfilmungen populär.

Wikipedia

Seit frühester Jugend bin ich ein Fan der Geschichte. Mit Jim Hawkins bin ich immer wieder zur geheimnisvollen Insel aufgebrochen, habe mich vor Silver gefürchtet, zum Schluss den Schatz mit Ben Gun gefunden.

Ich höre gerade die tolle Hörbuchfassung von Harry Rowohlt. Habt ihr die Geschichte noch vor Augen? Billy Bones versteckt sich am Anfang vor Flints alten Piratenmannschaft in dem Gasthaus von Jims Mutter.

Was ich bisher nicht beachtet habe ist, Billy Bones erleidet in der Geschichte einen Schlaganfall und wird von dem befreundeten Arzt Dr. Livesey erst mal gerettet. Und wie? Auch das beschreibt Stevenson exakt mit dem medizinischen Wissen der damaligen Zeit. In dem er zur Ader gelassen wurde.

Eine KI aus dem Internet hat mir geholfen, die Geschichte zu illustrieren.

Erstelle ein Bild von einem Doktor der sich um einen Seemann mit Schlaganfall kümmert in der Zeit um 1700.

Dazu habe ich folgende Anmerkungen zum Stand des medizinischen Wissens während dieses Zeitraums im Internet gefunden:

Im 18. Jahrhundert war das Wissen über Schlaganfälle noch stark begrenzt. Die Krankheit wurde oft als „Apoplexia“ bezeichnet und basierte auf der damals vorherrschenden Vier-Säfte-Lehre. Man glaubte, dass ein Ungleichgewicht der Körpersäfte – Blut, Schleim, Schwarze und Gelbe Galle – die Ursache sei.

Die Behandlungsmethoden waren entsprechend rudimentär:

  • Aderlass: Man ließ Blut ab, um das vermeintliche Ungleichgewicht zu korrigieren.
  • Brechmittel und Abführmittel: Diese sollten den Körper „reinigen“ und die Säfte wieder ins Gleichgewicht bringen.
  • Diät und Bewegung: Einige Ärzte empfahlen eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität zur Vorbeugung.
  • Kräuter und Arzneien: Es wurden oft giftige Stoffe wie Arsen und Quecksilber in hohen Mengen verabreicht.

Erst im späten 17. Jahrhundert begann Johann Jacob Wepfer, die Ursachen des Schlaganfalls genauer zu untersuchen. Er erkannte, dass es zwei Formen gibt: den ischämischen Schlaganfall (durch Gefäßverstopfung) und den hämorrhagischen Schlaganfall (durch Hirnblutung). Doch ohne moderne Diagnostik blieb die Behandlung weiterhin sehr begrenzt.

Die damaligen Methoden erscheinen aus heutiger Sicht oft fragwürdig, aber sie waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur modernen Medizin!

Dr. Livesey hätte also Billy Bones mit dem Aderlass eher nicht geholfen, egal ob der die Studien von Johann Wepfer kannte oder nicht. Die Medezin und Diagnostik war einfach noch nicht so weit.

Wie sähe das selbe Setting 200 Jahre später aus?

Auch hier hatte die KI wieder ein Bild für mich. Abhören sollte man bestimmt aber eher mit freiem Oberkörper.

Die Behandlung von Schlaganfällen hat sich seit dem 18. Jahrhundert erheblich weiterentwickelt. Früher basierte das medizinische Verständnis auf der Viersäftelehre, die ein Ungleichgewicht der Körpersäfte als Ursache ansah. Erst im 17. Jahrhundert erkannte Johann Jacob Wepfer durch Obduktionen, dass Schlaganfälle entweder durch Gefäßverschlüsse oder Hirnblutungen verursacht werden.

Im späten 19. Jahrhundert ermöglichte die Entdeckung der Röntgenstrahlen genauere Diagnosen, doch erst im 20. Jahrhundert wurden gezielte Behandlungen entwickelt. Die Einführung der Thrombolyse in den 1930er-Jahren war ein Meilenstein, da sie Blutgerinnsel auflösen konnte . Später revolutionierte die mechanische Thrombektomie die Akutbehandlung, insbesondere nach der MR-CLEAN-Studie von 2015, die ihre Wirksamkeit belegte.

Zum Durchbruch in der Schlaganfalldiagnostik führt in den 1970er Jahren die Entwicklung der Computertomographie – Mit der CT wird es erstmals möglich, schnell und zuverlässig zu unterscheiden, ob eine Durchblutungsstörung oder eine Hirnblutung vorliegt. Durch das Aufkommen der Magnetresonanztomografie und der Doppler- und Duplexsonographie können weitere Informationen rund um den Schlaganfall gewonnen werden. Doch was hilft die präziseste Diagnostik ohne Behandlungsmöglichkeiten? Noch bis Mitte der 1990er Jahre gibt es keine wirksame Therapie, um den akuten Schlaganfall zu behandeln. Faszinierend, oder?

Auch um 1900 hätte Billy Bones wenig Chance auf sein Leben oder gar Heilung gehabt.

Und heute?

Hätte die Szene wohl so oder ähnlich ausgesehen?

Billy Bones wäre jedoch nicht im Admiral Benbow geblieben, sondern umgehend in eine Stroke Unit gekommen.

Die weltweit erste Stroke Unit wurde 1966 in Pittsburgh, USA eingerichtet. Allerdings waren die Ergebnisse damals noch enttäuschend. Erst 1975 in Toronto, Kanada, eröffneten Vladimir Hachinski und John W. Norris eine Stroke Unit, die heutigen Standards entsprach. In Europa entstanden die ersten Stroke Units in den 1980er Jahren in Skandinavien.

Die erste Stroke Unit in Deutschland wurde 1990 in der München Klinik Harlaching eröffnet . Seitdem hat sich die Versorgung von Schlaganfallpatienten erheblich verbessert, und heute gibt es über 330 zertifizierte Stroke Units im Land.

Würde bei ihm ein ischämischer Schlaganfall diagnostiziert, hätte er eine Thrombolyse bekommen.

Die Thrombolyse ist eine medizinische Technik zur Auflösung von Blutgerinnseln, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat. Ursprünglich wurde die Idee der medikamentösen Gerinnselauflösung in den 1930er-Jahren erforscht, doch erst in den 1950er-Jahren gelang es Wissenschaftlern, erste wirksame Thrombolytika zu entwickeln. Ein entscheidender Durchbruch war die Einführung von Streptokinase, einem Enzym, das die körpereigene Fibrinolyse aktivierte.

In den 1980er-Jahren wurde rekombinantes Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA) entwickelt, das gezielt Blutgerinnsel auflösen konnte.

Seit Mitte der 1990er Jahre kommt das Medikament in der Lysetherapie (griechisch: Lysis = Auflösung) zur Akutbehandlung des Schlaganfalls zum Einsatz. Etwa 50 bis 60 Prozent der Gefäßverschlüsse können so beseitigt und die Blutversorgung des betroffenen Bereiches des Gehirns wiederhergestellt werden. Allerdings ist die Lysetherapie nicht für jeden Patienten geeignet und muss im Zeitfenster von 4,5 Stunden nach dem Schlaganfall zum Einsatz kommen.

Ich gehe sehr gerne weiter mit Jim Hawkins auf Reisen zu den Gestaden der Schatzinsel, aber ich bin sehr froh heute zu leben. Vor 1985 hätte ich meinen Schlaganfall wohl nicht überlebt.

Hier ist eine Liste der wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Schlaganfallbehandlung:

Altertum

  • Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.) – Erste Beschreibung des Schlaganfalls als „Apoplexia“ A.
  • Galen (ca. 129–216 n. Chr.) – Entwickelt die Theorie, dass Schlaganfälle durch ein Ungleichgewicht der Körpersäfte verursacht werden A.

17. Jahrhundert

  • Johann Jacob Wepfer (1658) – Erkennt durch Obduktionen, dass Schlaganfälle durch Gefäßverschlüsse oder Hirnblutungen verursacht werden A.

19. Jahrhundert

  • Wilhelm Conrad Röntgen (1895) – Entdeckt die Röntgenstrahlen, die später zur besseren Diagnose von Schlaganfällen beitragen A.

20. Jahrhundert

  • Rudolf Virchow (1856) – Beschreibt die Rolle von Embolien und Gefäßverschlüssen bei Schlaganfällen B.
  • Entwicklung der Thrombolyse (1930er-Jahre) – Erste Versuche, Blutgerinnsel medikamentös aufzulösen B.

21. Jahrhundert

  • MR-CLEAN-Studie (2015) – Belegt die Wirksamkeit der mechanischen Thrombektomie zur Entfernung von Blutgerinnseln B.
  • DAWN- und DEFUSE-3-Studien (2018) – Erweitern das Zeitfenster für die Schlaganfallbehandlung B.

Diese Entwicklungen haben die Schlaganfallbehandlung revolutioniert und ermöglichen heute deutlich bessere Heilungschancen als noch 30 oder 40 Jahre zuvor.

Und was wurde aus der Schatzinsel? Ich kenne einen, der kennt einen und der hat eine Karte. Der Silberschatz von Kapitän Flint wurde bisher nie gefunden. Los, lasst uns aufbrechen und segeln.

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

3 Kommentare zu „Billy Bones – meine Krankheit im Spiegel der Zeit

  1. Lieber Herr Schlenkert, vielen Dank für die Reise in die Vergangenheit über die Entwicklung der Schlaganfallbehandlung. Wobei ich den Gedanken, dass es mit den Körpersäften zu tun hat nicht abwegig finde. Bluthochdruck ist einer der Hauptrisikofaktoren bei Schlaganfall 😉Liebe Grüße und ein schönes Wochenende Marion Schrimpf

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    1. Guten Morgen Frau Schimpf, schön von Ihnen zu hören. So habe ich das beim Erstellen gar nicht gesehen. Aber Sie haben vollkommen recht. Also auch die Ärzte vor mehr als 200 Jahren lagen mit ihren Überlegungen gar nicht so falsch. Grüße an ihren Mann.

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