Menschen am Gericht, drei Beobachtungen

Was für eine Performance? Heute war ich zum fünften oder sechsten Mal als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Hannover. Es folgten sechs Verhandlungen. Langsam bekomme ich Routine.

Die wichtigste Personengruppe ist für mich natürlich immer die Vorsitzende Richterin oder Richter. Er hat im Verfahren die größte Aufgabe.

Den ganzen Papierkram hat er/ sie bereits vor der Verhandlung erledigt. Weiter führt er/ sie uns ehrenamtliche Richter in den Verhandlungstag ein. Das passiert ganz unterschiedlich. Manchmal ausführlich vor den Verhandlungen, manchmal auch erst in der Verhandlung selbst. Heute hatte ich eine sehr langjährige und erfahrene Richterin erwischt.

Sie erledigte alles ganz ruhig in der Verhandlung. Zwei Kläger kamen ohne anwaltliche Vertretung. Dann viel die entsprechende Einführung etwas länger aus, sie strahlte Ruhe aus und führte den Kläger sowie uns ehrenamtliche Richter prägnant in den Fall und die Abläufe ein.

Zur zweiten Gruppe gehören die Anwälte der Kläger. Hier gibt es meiner Erfahrung nach große Unterschiede. Einige Anwälte legen sich für ihre Mandanten richtig ins Zeug. Setzen sich ein, erläutern in Pausen ihren Mandanten ihre Optionen, andere sind einfach nur da.

Ich habe heute vier Anwälte der Klageseite erleben dürfen. Zwei haben ein Kreuz von mir hinter ihren Fall bekommen. Meint, an die würde ich mich auch selber in eigenen Angelegenheiten wenden. Mehrere Anwälte erleben zu können ist ein Vorteil, den das ehrenamtliche Richteramt so mit sich bringt. Dem Klienten bleiben da wohl nur Google Rezensionen.

Und die Beklagte? Die war an diesem Tag in allen Fällen die deutsche Rentenversicherung. Einmal Hannover Braunschweig und einmal Bund aus Berlin, Anwesend war aber immer die selbe sehr junge Anwältin. Auf Nachfrage sagte sie, dass sie von der Deutschen Rentenversicherung Hannover Braunschweig käme. Heute wäre ihre erste Verhandlung nach dem Referendariat. Ganz alleine ohne Unterstützung durch erfahrene Kollegen wohlgemerkt.

Die Vertretung für den Bund würde sie notgedrungen mit übernehmen. Anmerkung der Richterin, die Berliner kommen nie selber. Die digitale Teilnahme per Videokonferenz wäre hier die einfache Lösung. Mindestens in einem Verhandlungssaal ist die Voraussetzung in Hannover dazu bereits gegeben.

Wenn in einem Prozess eine Behörde oder Kostenträger als Beklagte beteiligt ist, so sollte auch ein echter Vertreter dieser Behörde anwesend sein. Sei es vor Ort oder in digitaler Form.

Für die Richter ist das nicht ganz einfach, kann doch durch die Vertretungsregelung nicht auf Entwicklungen in der Verhandlung reagiert werden. Diese Vertreter bleiben dann meist bei ihren ursprünglichen Anträgen, einfach aus Angst vor nachträglichem internen Ärger.

Ich finde sie hat das toll gemacht. Ganz souverän. Ein schönen Einstieg ins Berufsleben. Nach der letzten Verhandlung waren alle sehr gelöst. Man soll es nicht glauben, auf beiden Seiten war gute Stimmung.

Ich habe heute gelernt, auch am Gericht sind es immer letztendlich nur Menschen. Aber Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und denen ich meine eigenen Angelegenheiten jederzeit anvertrauen würde.

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

8 Kommentare zu „Menschen am Gericht, drei Beobachtungen

  1. Lieber Herr Schlenkert,

    ich habe mich mal so ein bischen durch Ihren Block gezappt, Chapeau, ich werde sicher das ein oder andere noch einmal nachlesen und Ihren Block sicher an unsere Patienten weiterempfehlen. Ich freue mich schon auf eine weitere Begegnung mit Ihnen.

    Liebe Grüße

    Marion Schrimpf

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    1. Moin Frau Schrimpf, vielen Dank. Das bedeutet mir wirklich etwas. Ich freue mich, wenn mein Blog jemanden helfen kann. Mir ging es bei der Geschichte ihres Mannes genauso. Für mich ist er ein und die Mitarbeiter des Ambulanticums ein echtes Vorbild, die täglich zeigen, was trotz unserer Krankheit alles möglich ist. Vielen Dank dafür.

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      1. schade, dass wir so weit voneinander wohnen, im Austausch könnten wir gemeinsam sicher noch einiges für die Patienten! Ihre Erfahrung mit dem Gesundheitssystem und unsere in der Therapie bei der Wiederherstellung von motorischen und kognitiven Einschränkungen☺️

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      2. Ich denke oft noch an unsere erste Begegnung in Berlin zurück, als Sie mir sagten, dass mein Mann ein Vorbild für Sie ist. Das hat mich sehr berührt.

        Liebe Grüße und einen guten Start in die neue Woche.

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      3. Geht mir genauso. Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist eine Woche alleine auf der Stroke Unit zu liegen. Sie können sich nicht bewegen und niemand darf sie besuchen (Pandemie). Irgendwann habe ich das mit dem Schlaganfall und dem PFO im Herzen verstanden. Trotzdem fühlt man sich total wehrlos. Nach meiner Entlassung aus der Reha habe ich dann von ihrem Mann erfahren. Endlich jemand, der unsere Krankheit nicht nur erträgt sondern sich gegen die Krankheit und den Umgang damit (ist halt so) stellt. Ich meine das schon ernst mit dem Vorbild. So einfach bin ich halt gestrickt. Ihnen und ihrem Team eine gute neue Woche wünscht Ihnen ihr Olaf Schlenkert

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      4. Ich denke oft noch an unsere erste Begegnung in Berlin zurück, als Sie mir sagten, dass mein Mann ein Vorbild für Sie ist. Das hat mich sehr berührt.

        Liebe Grüße und einen guten Start in die neue Woche.

        Leider bin ich noch nicht mit Ihrem System vertraut, daher doppelt!

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  2. Lieber Herr Schlenkert,

    Ich finde es großartig, dass Sie als ehrenamtlicher Richter sich nicht nur berufen fühlen, sondern, dass Sie auch hinterfragen, was vielleicht schief läuft in unserem System. Ich hoffe Sie bleiben weiterhin so neugierig und gehen der Sache auf dem Grund zum Wohle der Betroffenen. LG

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