Was bleibt?

Ich kenne die Kieler Förde schon seit meiner frühester Jugend. Habe dort im Sand gespielt und als ich größer wurde die Sportplätze erkundet. Meine Mutter kam von dort. Meine Oma und  Opa haben bis zu ihrem Tod in Kiel Friedrichsort gewohnt. In einem U Block. Mitte der dreißiger Jahre gebaut, wohnten meine Großeltern dort bis zu ihrem Tod im Jahre 2002.

Die MaK gab unserer Familie Arbeit und Brot. Meinen Opa rettete sie vor dem Kriegseinsatz, mein Onkel und meine Mutter haben dort gelernt. Mein Opa und Onkel dort bis zur Rente gearbeitet.

 

„Die Maschinenbau Kiel (MaK) war ein traditionsreicher Hersteller von SchiffsdieselmotorenDiesellokomotiven, Dieseltriebwagen und Kettenfahrzeugen, der in den 1990er Jahren in mehrere Einzelunternehmen aufgespalten wurde. Die zentrale Schiffsmotoren-Sparte wurde von Caterpillar Inc. übernommen und firmiert heute als Caterpillar Motoren GmbH & Co. KG.“

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Alle vier sind jetzt tot. Was bleibt von ihnen und der Stadt Kiel, in der sie den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben?

Meine Frau und ich haben uns am letzten Wochenende aufgemacht, um diese Frage für mich zu beantworten.

Meinem Vater habe ich ein Bild vom Kieler Hauptbahnhof und unserem Hotel direkt gegenüber geschickt. Häufig ist er von dort abgefahren. Er war dort Ende der fünfziger Jahre als Mariner stationiert und hat dort auch meine Mutter kennengelernt.

Allerdings hat er fast nichts wiedererkannt.

Am Samstag ging es bei strahlendem Wetter seewärts mit der Fördefähre nach Friedrichsort. In meiner Jugend bin ich immer mit der Fähre gefahren, wenn ich mit meinen Eltern in Kiel war. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, den Bus zu nutzen.

Friedrichsort ist vor allem durch den dünenreichen Sandstrand des Falckensteiner Strandes und die Lindenau Werft bekannt. In der Nähe des Falckensteiner Strandes und der sich anschließenden Steilküste sind noch heute Teile der früheren Festung Friedrichsort zu sehen.“

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Jetzt sehen die Fähren jedoch völlig anders aus, sind viel moderner. Die wackelige Gangway ist einer modernen hydraulischen Rampe gewichen, gewiss der Sicherheit der Passagiere zuliebe. Ja, das Klientel hat sich ebenfalls verändert. Wurde in meiner Jugend die Fähre vorwiegend von Berufspendlern genutzt, sich es heute eher und wohl fast ausschließlich Touristen.

Vorbei ging es an der Lindenau Werft. Hier erklangen immer die Vorschlaghämmer, deren Geräusch meiner Mutter in der Anfangs Zeit in Wilhelmshaven immer so fehlte. Nun, diese Geräusche sind ebenfalls seit mehr als zehn Jahren verklungen.

Die Lindenau Werft GmbH ist eine deutsche Schiffswerft in Kiel.“..

„Das erste in Kiel-Friedrichsort gebaute Schiff war der 1953 abgelieferte kleine Tanker Bindal für eine skandinavische Reederei.“

„Am 22. September 2008 stellte die Lindenau-Werft wegen erheblicher Liquiditätsprobleme, trotz voller Auftragsbücher, Insolvenzantrag beim Amtsgericht Kiel.“…

„Das Schwimmdock Dock 1 war nicht in der Übernahme der Werft im Jahr 2012 enthalten und wurde herrenlos. Im Sommer 2018 drohte es zu sinken. 2019 wurde es schließlich im Auftrag der Schifffahrtsverwaltung im benachbarten Dock 2 abgewrackt.“

Den U Block habe ich noch gut gefunden. Leider war das Küchenfenster der Wohnung geschlossen. Niemand schaue in Erwartung der bevorstehenden Ankunft der Tochter und der Enkel heraus.

Weiter ging es ins Zentrum von Friedrichsort. Es ist ziemlich ruhig, anders als die gewohnte Geschäftigkeit meiner Jugend. Der Wochenmarkt, lediglich zwei Stände sind vom großen Markt übriggeblieben.

Aber dann der erste Lichtblick. Den Eisladen gibt es noch. Hier haben meine Eltern bereits Anfang der sechziger Jahre ihr Eis gegessen und ich danach in meiner Jugend.

Immer noch in Familienhand und der beste Eisladen im Umkreis von Kiel. Die Leute stehen immer noch Schlange wie früher. Dieser Anblick hat mich sehr gefreut.

Weiter ging es zum Falckensteiner Strand. Zu fuß, wie früher. Vorbei an dem ehemaligen Garten meiner Großmutter. Auch die kleinen Datschen gibt es noch.

Am Strand das gleiche Gefühl wie früher. Auch die alte Seebrücke ist noch da, die dicken Pötte fahren immer noch zwischen den Booten der Segler. Der Geruch von Seeluft, Sandkörner reiben auf der Haut.

Was bleibt, wenn die, die man liebt nicht mehr da sind? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Ich fand das Wochenende in Kiel schön und traurig zugleich. Ich habe die Vergänglichkeit gespürt, jedoch auch kostbare erhaltene Perlen meiner Jugend wiedergefunden. Genau wie die Gräber meiner Großeltern, die wir nach über zehn Jahren wieder besucht haben.

Ich habe keine Verwandtschaft mehr in Kiel, mein Onkel ist als letztes der vier verstorben. Eigentlich gibt es keinen Anlass mehr für mich, hierhin zurückzukehren.

Ich weiß jedoch, solange ich lebe, werde ich immer mit Kiel verbunden sein. Ich werde wiederkommen, mit Freude und etwas Wehmut gleichzeitig im Herzen. Dann ist wieder Zeit für meine Erinnerungen.

 

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

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