Robin Hood

Der ältere Herr schaute etwas irritiert, als er den Sitzungssaal 18 des Sozialgerichts Hannover heute betrat.

Ich war heute wieder als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht. Unfallrecht wurde heute verhandelt. Der Vorsitzende erklärte mir, dass sind sehr intensive Fälle mit viel Vorbereitungszeit. Das führt heute sicher zu vielen Urteilen. Da gibt niemand einfach auf.

Sein Anwalt wäre noch nicht da, sagte der Mann. Ihr müsst es euch einmal vorstellen, erst wartet ihr drei Jahre auf einen Termin, fast monatlich werden Schriftstücke, Arztberichte oder Gutachten erstellt. Und dann ist euer Anwahlt aus einem großen Sozialverband einfach nicht da. Unentschuldigt, ich war sprachlos.

Der Vorsitzende hat den Fall mehrfach aufgerufen, Zeit gelassen, den Sozialverband persönlich aus dem Saal angerufen. Der gesamte Sozialverband nicht zu erreichen.

Wollen wir trotzdem anfangen, fragte der Richter? Der Mann schaute etwas bekümmert, willigte jedoch dann ein. Sein Bruder hatte ihn fast 80 Kilometer nach Hannover gefahren. Der Tag sollte nicht vollkommen umsonst sein.

Der Richter führte ins Verfahren ein. Der Mann hatte einen Arbeitsunfall gehabt und dabei ein Auge verloren. Danach konnte er nicht mehr als Tischler arbeiten.

Wie mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit umgehen in diesem Fall?

Das Auge anerkannt von der Berufsgenossenschaft, aber was ist mit der Depression, die den Mann nach dem Unfall ereilt hatte?

Zwei Gutachten waren zu diesem Fall angefertigt worden. Kamen zu dem Ergebnis, der Arbeitsunfall wäre nicht ursächlich für die Depression. Wenigstens nach dieser längeren Zeit nicht mehr.

Haben sie noch Ergänzungen, fragte der Richter?

Ich war ein Vollbluthandwerker. Früher Modellbauer, heute kann ich das nicht mehr machen, der Kläger. Meine Auge Hand Koordination versagt dabei. Ich versuche es immer wieder und muss die Versuche dann erfolglos abbrechen.

Gut gemacht, dachte ich bei mir. Mutiger Typ, das hier einfach ohne Anwalt durchzuziehen. Ich konnte mit meiner eigenen Behinderung nachvollziehen, wie er sich noch immer mit seinem Verlust der Fähigkeiten fühlt.

Ich helfe dir, soweit es in meiner Macht steht und die geltenden Gesetze es zulassen, dachte ich bei mir. Ich fand, es sah eigentlich ganz gut für ihn aus.

Kommen wir zu den Anträgen, stellte der Vorsitzende Richter fest.

Ich sage nichts weiter ohne meinen Anwalt, darauf der Kläger. Ihn verließ jetzt wohl doch seine Courage. Er konnte die Situation nicht überblicken, hatte einfach Angst Fehler zu machen.

Wir verschieben, resümierte der Richter.

Ich habe zu, manchmal habe ich schon ein wenig das Bild von Robin Hood im Kopf bei den Gerichtsverhandlungen, denen ich als ehrenamtlicher Richter beiwohne. Nicht mehr mit Bogen und Schwert, sondern mit meiner Stimme in der Kammer.

Heute wurde es mir aber etwas schwer gemacht. Als ehrenamtlicher Richter ist es schwierig, Fälle weiter zu verfolgen, wenn diese am Gerichtstag nicht zu Ende verhandelt wurden.

Ich wünsche dir alles Gute für dich, deinen Fall und deinen Verlust. Hoffentlich findest du andere Dinge, die dich zukünftig zufrieden machen. Dies habe ich versucht, dem älteren Herrn mit auf den Weg zu geben, als er den Saal verließ.

Foto von Andrew Charles: https://www.pexels.com/de-de/foto/ruhiger-waldweg-in-sloweniens-waldern-30251697/

Veröffentlicht von oschlenkert

männlich, 52 Jahre, verheiratet, 1 Kind, mitten im Leben ... und dann kam der Schlaganfall.

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